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Unser Präsident über „Lohn ermöglicht Selbstbestimmung!“

Von 10. April 2018 Keine Kommentare
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Unser Präsident über „Lohn ermöglicht Selbstbestimmung!“

Von 10. April 2018 Keine Kommentare

Unser Präsident, Germain Weber, hat seine Sichtweise über das Thema Gehalt statt Taschengeld in der Zeitschrift monat des Österreichischen Behindertenrats skizziert:

Menschen mit Lernschwierigkeiten werden am Arbeitsmarkt ausgegrenzt.

Von Germain Weber, Ao. Univ.-Prof. Dr., Universität Wien, Fakultät für Psychologie und Präsident der Lebenshilfe Österreich

Im Erwachsenenalter ist Erwerbsarbeit ein zentraler Schlüssel für selbstbestimmtes Leben und gesellschaftliche Teilhabe. Ein angemessener Lohn würdigt die erbrachte Arbeitsleistung und ermöglicht dem einzelnen seinen Lebensweg autonom zu gestalten. Menschen mit Lernschwierigkeiten sind von der Teilhabe am Erwerbsarbeitsmarkt ausgegrenzt, was den Weg für selbstbestimmtes Leben stark einschränkt, ja in den meisten Fällen verhindert.

Arbeit - credit: Gesellschaftsbilder.de Andi Weiland Status Quo in Österreich

Menschen mit Lernschwierigkeiten, auch Menschen mit intellektuellen Behinderungen bezeichnet, werden in Österreich als nicht erwerbsarbeitsfähig eingestuft. Dies steht im Gegensatz zu EU-Staaten mit vergleichbaren wirtschaftlichen Leistungsdaten und sozialen Standards. Gut 22.000 Menschen in Österreich sind als nicht erwerbsarbeitsfähig eingestuft. Infolge ihrer angeblichen Art und Ausmaß von Beeinträchtigung sind sie nicht zur Ausübung einer Erwerbsarbeit zugelassen. Die Bundesländer bieten diesem Personenkreis Möglichkeiten der Beschäftigung in Tages- und Beschäftigungsstrukturen an.

 Taschengeld statt Lohn

Für Menschen, die in diesen Strukturen einer Arbeit oder einer Tätigkeit nachgehen, gibt es keine Entlohnung sondern ein Taschengeld. Ohne eigenes Erwerbseinkommen gibt es keine Kranken- und Pensionsversicherung, womit nach all den Jahren in der „Werkstatt“ aus den dort erbrachten Arbeitsleistungen auch keine Pension bezogen werden kann. Es bleibt beim Taschengeld, dessen durchschnittliche Höhe bei 65 Euro im Monat liegt und von Bundesland zu Bundesland sehr verschieden sein kann! Taschengeld geben wir üblicherweise unseren Kindern, um erste Erfahrungen im Umgang mit Geld, autonomen Entscheidungen und selbstbestimmter Lebensführung zu sammeln.

Indem wir in Österreich die Arbeit von erwachsenen Menschen mit Lernschwierigkeiten mit „Taschengeld“ belohnen, sprechen wir ihnen im Erwachsenenalter auch pauschal die Fähigkeit zu einer autonomen und selbstbestimmten Lebensführung ab. Dies steht in einem hohen Maß in Widerspruch zu der, in den letzten 10 Jahren vermehrt reklamierten, Selbstbestimmung für diese
Personengruppe.

Arbeit - credit: Gesellschaftsbilder.de Andi Weiland

Mit dem Taschengeldmodell und dessen gesetzlichen Hintergründen werden erwachsene Menschen mit Lernschwierigkeiten in Österreich weiterhin als „ewige Kinder“ geführt, mit allen daran gebundenen Konsequenzen, für den Einzelnen und die öffentliche Hand. Der Einzelne verfügt nicht über die Mittel, um sein Leben selbstbestimmend und teilhabend zu gestalten. So verweilt ein Großteil dieser Personengruppe oft bis ins fortgeschrittene Erwachsenenleben im Elternhaus, der andere Teil lebt in Wohngruppen. Die Wohngruppen werden üblicherweise geführt von Sozialeinrichtungsvereinen, die öffentlich gefördert sind. Die Bewohner dieser Einrichtungen, die unter gesetzlichen Reglungen für Heime geführt werden, haben in der Regel wenig Spielraum zum Aufbau und zur Gestaltung eines eigenen Lebensweges, da hierfür lediglich auf das „erarbeitete“ Taschengeld zurückgegriffen werden kann. Alle anderen finanziellen Förderungen, die dem Erwachsenen mit Lernschwierigkeiten seitens der öffentlichen Hand aus dem Status einer Person mit Behinderungen zustehen, ergehen an die Behindertenvereine oder die Angehörigen, die für das Leben der Betroffenen sorgen.

Fehlende Vielfalt

Unabhängig von der Tatsache, dass es sich bei dem Taschengeldmodell für regelmäßig erbrachte Arbeitsleistungen um eine aus Gründen der Gleichstellung mehr als hinterfragungswürdige Regelung handelt, werden Beschäftigungs- und Arbeitskontexte für die Kategorie „Menschen mit Lernschwierigkeiten“, mit einem einheitlichen Modell begegnet, dies im Sinne, dass eine „Größe“ für alle passt. Dabei ist die Gruppe der Menschen mit Lernschwierigkeiten durch eine große Vielfalt hinsichtlich ihrer Talente und Kompetenzen bzw. langfristigen Einschränkungen gekennzeichnet. Der größere Teil der Gruppe, gute 70 %, verfügt über Talente und Begabungen, die, wenn über Bildungs- und Ausbildungsprogramme angemessen gefördert, zur erfolgreichen Verrichtung praktischer Arbeitstätigkeiten entwickelt werden können. In vielen Beschäftigungsstrukturen in denen Menschen mit Lernschwierigkeiten arbeiten, werden Produkte hergestellt, die am Markt tätigen Firmen zugeliefert werden. Oder es sind handwerkliche Gruppen installiert, die beispielsweise Garten-, Catering- und Office-Arbeiten anbieten. Es gibt auch Werkstätten, wie beispielsweise ein Tischlereibetrieb, in denen Menschen mit Lernschwierigkeiten im Möbelbau tätig sind. In der Regel nehmen solche Gruppen externe Aufträge an.

In Österreich finden wir integrative Werkstätten, wo einerseits Menschen mit Lernschwierigkeiten und andererseits junge Menschen ohne Lernschwierigkeiten, deren Biographie durch soziale Beeinträchtigungen gekennzeichnet ist, tätig sind. Letztere absolvieren dort eine Lehre. Hier ist häufig zu beobachten, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus beiden Gruppen die gleichen Arbeitsprozesse, mit gleichem Erfolg verrichten. Mit dem Unterschied, dass die Person mit Lernbehinderung für seine erbrachte Leistung ein Taschengeld bezieht, der Lehrling mit sozialer Beeinträchtigung, einer formalen beruflichen Qualifizierung nachgehend, einen Lehrlingslohn bezieht und sozialrechtlich versichert ist. Dabei erleben Menschen mit Lernschwierigkeiten ihre Tätigkeit üblicherweise als echte Arbeit. Immer mehr dieser Werkstätten setzen zur Optimierung der Arbeitsbedingungen Instrumente aus dem HR-Bereich ein, wie zur Messung der Arbeitszu-
friedenheit.

Mit der Forderung „Lohn statt Taschengeld“, wie von Selbstvertreterinnen und Selbstvertretern seit deren erstem österreichweitem Kongress aus dem Jahr 1994 gestellt, geht es um die Anerkennung der Tätigkeiten als echte Arbeit. Im Jahr 2009 wurde der Selbstvertreterkongress erstmals international ausgerichtet, mit Selbstvertreterinnen und Selbstvertretern aus Deutschland, Schweiz, Luxemburg und Südtirol. Das österreichische Taschengeldmodell wird seitdem von den Betroffenen noch stärker hinterfragt, wo nun die arbeitsrechtlichen Rahmen und die Entlohnungen aus Arbeit in Werkstätten für Menschen mit Lernbehinderungen aus anderen Gegenden Europas bekannt sind.

Erfolgreiche Modelle

Modelle entlohnter Arbeit für Menschen mit Lernschwierigkeiten konnten in den letzten Jahren in einzelnen Bundesländern erfolgreich erprobt werden. Aus dem Land Oberösterreich liegt eine Studie vor, die den Weg zur Transformation des aktuellen indirekten Förderungssystems der öffentlichen Hand, hin zu einer fairen Entlohnung für Menschen mit Lernschwierigkeiten, die in Behindertenwerkstätten arbeiten, aufzeigt. Ein solches Modell, ergänzt um Grundsicherungsmodelle für Menschen mit komplexeren intellektuellen Beeinträchtigungen, würde der brennenden Forderung nach fairer Entlohnung gerecht werden. Bei dieser Forderung stützen sich Selbstvertreterinnen und Selbstvertreter sowie ihre politischen Unterstützer auf Verpflichtungen, die die Republik Österreich eingegangen ist: beispielsweise Artikel 27 der UNBRK oder aber die Nicht-Diskriminierung auf Grund von Behinderung, wie in Artikel 7 der Bundesverfassung festgehalten.

Die von der Regierung aktuell angedachte Erhöhung des Taschengeldes für diese Personengruppe geht eindeutig in eine extrem problematische Richtung. Sagt dieser Vorschlag doch aus, dass wir diese Personen in Österreich weiterhin als „Kinder“ ansehen wollen, ihre Arbeitsleistungen rechtlich weiterhin als Teil einer „Therapie“ definieren wollen und diese Personen weiterhin in Österreich diskriminiert werden sollen.

Der Weg zu mehr Selbstbestimmung und stärkerer gesellschaftlicher Teilhabe von Menschen mit Lernschwierigkeiten setzt deren Teilhabe an der Erwerbsarbeit voraus. Dabei benötigt es neue Konzepte und Modelle wo und wie Menschen mit Lernschwierigkeiten einer bezahlten Arbeit nachgehen können. Das ist politisch zu ermöglichen!

Hier der Artikel im „monat“ als pdf:

Zeitschrift „monat“: Lebenshilfe-Präsident Germain Weber über die Arbeitssituation für Menschen mit Behinderungen_S.1
Zeitschrift „monat“: Lebenshilfe-Präsident Germain Weber über die Arbeitssituation für Menschen mit Behinderungen_S.2

 

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