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InklusionNewsPolitik und Recht

Die Fakten zum neuen Erwachsenenschutz-Gesetz

Von 8. März 2018 1 Kommentar
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Die Fakten zum neuen Erwachsenenschutz-Gesetz

Von 8. März 2018 1 Kommentar

Am 1. Juli 2018 ist es soweit: das neue Erwachsenenschutzgesetz tritt in Kraft. Nach über drei Jahren intensiver Arbeit unter Einbeziehung breiter Interessengruppen verändert das neue Gesetz das bisherige Sachwalterrecht aus dem Jahr 2006 in vielen wesentlichen Punkten.

Wir erklären was neu ist. Wir erklären, warum das Gesetz so wichtig ist.

Bis 2021 müssen die bestehenden Sachwalterschaften der vertretungsbefugten Angehörigen von Clearingstellen überprüft werden, bis 2024 die der SachwalterInnen.
Das Justizministerium behandelt in drei Arbeitsgruppen die Themenbereiche medizinische Behandlung, Banken, (große Pflege-)Heime. Ziel ist es, den MultiplikatorInnen mit den entstehenden Konsenspapieren die Grundgedanken und Bestimmungen des Gesetzes bekannt zu machen.

Bekannte und neue Vertretungsformen: 4 Säulen des Erwachsenenschutzgesetzes

Die bekannten Vertretungsformen wird es weiterhin geben, allerdings mit neuen Namen:

  • Wie bisher besteht die Möglichkeit zur „Vorsorgevollmacht“.
  • NEU sind die „Gewählten ErwachsenenvertreterInnen“:
    sofern ein Mensch seine Angelegenheiten nicht (mehr) selbst besorgen kann, aber die Bedeutung und die Folgen einer Bevollmächtigung in Grundzügen verstehen kann, kann er mit einem Menschen seiner Wahl eine individuelle Vertretungsvereinbarung abschließen.
  • Aus „Vertretungsbefugten nächsten Angehörigen“ werden „Gesetzliche ErwachsenenvertreterInnen“:
    diese Vertretungsform wird wesentlich aufgewertet: Die Befugnisse reichen von medizinischen Behandlungen über finanzielle und rechtliche Angelegenheiten bis zu Änderungen des Wohnorts und Abschluss von Heimverträgen. Nun können auch Geschwister Vertreter/innen werden!
  • Aus „Sachwalter/innen“ werden „Gerichtliche ErwachsenenvertreterInnen“:
    diese werden im Vertretungsumfang deutlich eingeschränkt (nicht mehr für „alle Angelegenheiten“, nicht mehr unbefristet, sondern spätestens nach drei Jahren Ende oder Erneuerung).

4 Säulen des ErwSchG

Grafik „4 Säulen des Erwachsenenschutzgesetzes“ hier vergrößert abrufbar

Wichtig: Alle heute bestehenden Sachwalterschaften enden spätestens Anfang 2024 und alle Vertretungsbefugnisse spätestens Mitte 2021. Sie müssen vom Gericht überprüft und gegebenenfalls erneuert werden!

Miteinander_4Erwachsenenschutzvereine als Drehscheibe der Rechtsfürsorge

Sachwaltervereine wie z.B. das Vertretungsnetz heißen in Zukunft „Erwachsenenschutzvereine“. Sie werden eine wichtige Rolle bei der Umsetzung des Gesetzes erhalten: neben Beratung und amtlichen Eintragungen vor allem bei der Abklärung („Clearing“), welches Ausmaß an rechtlicher Unterstützung der einzelne Mensch überhaupt braucht bzw. zur Verfügung hat: von Unterstützung im eigenen Familien-, Freundes- und Nachbarschaftskreis über die verschiedenen Vertretungslösungen bis zur gerichtlichen Erwachsenenvertretung mit Genehmigungsvorbehalt.

Wie es weitergeht

Die Experten der Lebenshilfe prüfen derzeit, welche Bestimmungen und Fragen gerade für Menschen mit intellektuellen Behinderungen und deren Familien wichtig sind und welche Auswirkungen diese auf den Alltag haben werden. Sobald dieser Prozess abgeschlossen ist, veranstaltet die Lebenshilfe Informationsveranstaltungen.
In Graz findet diese an 3 Terminen statt, zwischen 12. April und 21. Juni. In Wien findet diese am 24. Mai statt. Alle Interessierten sind dazu eingeladen!

Weitere Informationen

Siehe zur Ausgangslage, zu wesentlichen Grundsätzen, zu den 4 Säulen der Vertretung und die Neuerungen im Überblick: Webseite des Bundesministerium für Justiz

Factsheet des Justizministeriums zum neuen ErwSchG

Kurzbroschüre des Bundesministeriums für Justiz: „Das neue Erwachsenenschutzrecht“

Information des Bundesministeriums für Justiz: Erwachsenenschutzgesetz in einfachen Worten

Bundesgesetzblatt vom 25. April 2017: 2. Erwachsenenschutzgesetz

Das neue Gesetz enthält zahlreiche Detailbestimmungen, die im Wortlaut auf der Homepage des Parlaments nachgelesen werden können: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/I/I_01461/index.shtml#tab-Uebersicht.

Neuregelung als Paradigmenwechsel für Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen

„Die vorgesehene Neuregelung der Erwachsenenvertretung geht diese Probleme gezielt an: Sie beseitigt die automatische Rechtsbeschränkung, berücksichtigt durch eine Befristung auf drei Jahre mögliche Veränderungen des Betreuungsbedarfs und sie zwingt zur differenzierten Umschreibung des Unterstützungsbedarfs. Das wichtigste Instrument, um diese Ziele auch umzusetzen, stellt das obligatorische vorherige Clearing durch professionelle Vereinssachwalter dar, das bereits in Modellprojekten erfolgreich erprobt wurde. Notwendig für den Paradigmenwechsel ist aber auch eine Haltungsänderung weg von einer stellvertretenden Entscheidung zur gemeinsamen Suche nach Lösungen. Neue, durch die Betroffenen selbst wählbare Vertretungen unterstreichen das Prinzip der Selbstbestimmung“, so Prof. Jürgen Pelikan.

Zeit zur Reform: Novelle der Sachwalterschaft war seit langem ausständig

Seit längerem wird das bestehende, aus der Reformära Broda stammende und einst als große Errungenschaft gefeierte Gesetz kritisiert: Vielfach abweichend von seinen einstigen Zielsetzungen, herausgefordert von neuen Sichtweisen und Betreuungsformen und nicht zuletzt unter Druck geraten durch die UN-Behindertenrechtskonvention wird es zunehmend nicht mehr als zeitgemäß empfunden. Über die Reformbedürftigkeit aber auch den positiv bewerteten Begutachtungsentwurf,  der auf  jahrelangen legistischen Vorbereitungsarbeiten und einer vorbildlichen Einbindung von Betroffenen beruht, besteht daher hoher Konsens.

Die finanziellen Mittel für das Gesetz müssen bereit stehen

Der Entwurf des Erwachsenenschutzgesetzes 2016 wurde unter vorbildlicher – auch international beachteter – Einbindung von Menschen mit Behinderungen und anderer Anspruchsgruppen erarbeitet. Es folgt den Intentionen der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, besonders den Forderungen des Art. 12 über die gleiche Anerkennung vor dem Recht. Der Entwurf stärkt die Anerkennung als Rechtssubjekt, vermindert die Einschränkungen Rechts- und Handlungsfähigkeit.

Die möglichst geringe Einschränkung der Selbstbestimmung und Förderung der Autonomie wird wesentlich davon abhängen, ob die Zugänglichkeit der Beratung und des Clearings durch Erwachsenenschutz-Vereine ausreichend sichergestellt werden und ob die notwendigen Unterstützungsleistungen für das Treffen von Entscheidungen und persönliche Assistenz österreichweit verfügbar und leistbar sein werden.

„Der Bund ist gefordert hier für österreichweit einheitliche Lösungen zu sorgen, insbesondere für die Einführung und Dotierung von individuellen Assistenz- und Unterstützungsleistungen und von persönlichen Budgets sowie für die Qualifikation von Fachleuten“, so Brandstätter abschließend.

Umsetzung stand auf der Kippe – wir haben´s geschafft: Gesetz wird doch nicht verschoben

Mit 1. Juli 2018 wird ein Gesetz in Kraft treten, das Menschen mit Behinderung mehr Autonomie und Selbstbestimmung bringen wird. Dabei stand die Umsetzung auf der Kippe, denn die neue türkis-blaue Regierung plante die Verschiebung des Gesetzes mit der Begründung, dass dafür das Geld fehle. In einer blitzschnellen und großartig funktionierenden breiten Zusammenarbeit haben wir gezeigt, was ein zivilgesellschaftliches Engagement bewirken kann: Wir haben eine bessere Ausfinanzierung erreicht als die letzte Regierungsvorlage vorgesehen hatte! Die schnelle und unkomplizierte Zusammenarbeit vieler Menschen und Organisationen hat gezeigt, dass wir zusammen etwas bewegen!

Mehr Selbstbestimmung als Leitmotiv

Im Vordergrund steht die Förderung der Selbstbestimmung von Menschen, die mehr oder weniger Unterstützung bei der Erledigung ihrer Angelegenheiten benötigen.

Die neuen gesetzlichen Regelungen stellen grundsätzlich und für konkrete rechtliche Handlungen sicher, dass die eigenständige Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit von Menschen möglichst erhalten bleibt, auch für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf, die eine/n Vertreter/in haben.

 

Siehe dazu auch unsere Beiträge:

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