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InklusionUnterstützung

Lebenshilfe begrüßt Erwachsenenschutzgesetz und fordert raschen Ausbau der Unterstützungsangebote

Von 9. September 2016 Keine Kommentare
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Lebenshilfe begrüßt Erwachsenenschutzgesetz und fordert raschen Ausbau der Unterstützungsangebote

Von 9. September 2016 Keine Kommentare

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Heute endet die Begutachtungsfrist für einen Gesetzesentwurf, mit dem die Sachwalterschaft von Grund auf geändert wird. Grundsätzlich begrüßt die Lebenshilfe Österreich den Entwurf für das Erwachsenenschutzgesetz, der die Einschränkungen der Rechts- und Handlungsfähigkeit von Menschen mit Beeinträchtigungen vermindert. Wir geben aber auch einige Kritikpunkte zu bedenken.

Stellungnahme der Lebenshilfe Österreich zum Entwurf des Erwachsenenschutzgesetzes 2016

Die Lebenshilfe Österreich als vertretende Dachorganisation von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung, ihren Angehörigen und unseren Dienstleistungsorganisationen nimmt zum Entwurf des Erwachsenenschutzgesetzes 2016 Stellung:

Prozess der Entwicklung und Einbindung, Evaluierung

Die Lebenshilfe Österreich begrüßt den vorliegenden Entwurf als wichtigen Schritt auf dem Weg zum Ziel der Umsetzung der ausdrücklich in den Grundsätzen der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen geforderten staatlichen Rahmenbedingungen, die „die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Selbstbestimmung“ sicherstellen sollen.

Insgesamt handelt es sich hier um einen gesellschaftlichen Lernprozess und deshalb legen wir Wert darauf, dass die Umsetzung des Erwachsenenschutzgesetzes und die Erfahrungen, die sich damit ergeben, in regelmäßigen Abständen (4 bis 5 Jahre) evaluiert werden sollen.

Die Lebenshilfe Österreich betont, wie positiv die Einbindung von Menschen mit Beeinträchtigungen und anderer Anspruchsgruppen in den Ausarbeitungsprozess dieses wichtigen neuen Gesetzes erlebt wurde. Hier wurde geradezu vorbildlich bewiesen, dass die Gesetzwerdungsprozesse so gestaltet werden können, dass die Personen, um die es geht, auch wirklich beteiligt werden.

Der Entwurf folgt den Intentionen der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, besonders den Forderungen des Art. 12 über die gleiche Anerkennung vor dem Recht. Der Entwurf  stärkt die Interessen der Menschen, die Mitglieder der Lebenshilfen sind und/oder Dienstleistungen der Lebenshilfen in Anspruch nehmen und von uns begleitet werden. Er stärkt die Anerkennung als Rechtssubjekt, vermindert die Einschränkungen ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit. Aus unserer Sicht ist aber noch viel zu tun im Ausbau der Unterstützungsangeboten, damit alle Menschen ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit gleichberechtigt ausüben können.

Zur Begrifflichkeit

In den letzten Jahren haben sich die verwendeten Begriffe immer wieder verändert, dies zeigt die intensive Diskussion und Veränderung der Wahrnehmung auch im internationalen Kontext.

Wir erachten die im Entwurf gewählte Umschreibung der Zielgruppe („psychische Krankheit oder vergleichbare Beeinträchtigung“) als nicht zielführend, da sie in unserem Verständnis zu wenig deutlich ist, Behinderung in die Nähe von Krankheit rückt und daher das  Argumentationsmuster des medizinischen Modells von Behinderung suggeriert.

Wir schlagen daher vor stattdessen der neuen Übersetzung der UN-Behindertenrechtekonvention zu folgen und die dort verwendete Bezeichnung zu übernehmen: Menschen mit Behinderungen. Oder im Falle der notwendigen Präzision von Menschen mit Intellektueller Beeinträchtigung zu sprechen.

Unterstützte Entscheidungen und persönliche Assistenz

Die Erreichung der Intentionen des vorgeschlagenen Gesetzes, nämlich die möglichst geringe Einschränkung der Selbstbestimmung und Förderung der Autonomie wird wesentlich davon abhängen, ob die notwendigen Unterstützungsleistungen für das Treffen von Entscheidungen und persönliche Assistenz österreichweit verfügbar und leistbar sein werden.

In diesem Punkt sind die Bundesländer gefordert Modelle wie Persönliche Zukunftsplanung, Unterstützungskreise, Unterstützte Entscheidung und analoge Methoden in ihre Leistungskataloge aufzunehmen, bedarfsgerecht auszubauen und zu finanzieren.

Der Bund ist gefordert hier für österreichweit einheitliche Lösungen zu sorgen, insbesondere für die Einführung und Dotierung von individuellen Assistenz- und Unterstützungsleistungen und von persönlichen Budgets.

Sollte dies nicht der Fall sein, sehen wir folgende Gefahren:

Es werden weniger ErwachsenenvertreterInnen bestellt und wenn dann auch noch die Unterstützung für Entscheidungen fehlt, kommen die Dienstleister in den Einrichtungen der Behindertenhilfe wieder in die Situation de facto diese zeitintensiven Rollen zu übernehmen, wobei aber ein Korrektiv fehlt, das sicherstellt, dass die Interessen des/der Vertretenen gewahrt bleiben: ein ganz und gar unerwünschtes Szenario.

Beratung und Clearing

Die Zugänglichkeit der Beratung und des Clearings durch Erwachsenenschutz-Vereine muss sichergestellt werden. Das heißt, dass ihre Kapazitäten bedarfsgerecht auszubauen sind und die Einschränkung, dass die Beratung nur nach Maßgabe der Möglichkeiten zu erfolgen braucht, fallen muss.

Besondere Situation von Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf

Die Lebenshilfe Österreich begrüßt die Ausweitung der Angehörigenvertretung auf Geschwister, Kinder und Neffen. Dies ist gerade für  Menschen mit hohem und komplexem Unterstützungsbedarf sehr wichtig. Die Auswirkung von Regelung auf die Lebenssituation von Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf ist für uns immer ein entscheidender Indikator, ob Regelungen auch ihren Zweck erreichen.

So positiv im Allgemeinen die Veränderung ist, dass es in Zukunft die Erwachsenenvertretung nur mehr als ultima ratio vorgesehen ist und es keine Vertretung mehr für alle Angelegenheiten geben soll, so sehr erfüllt dies Angehörige von Frauen und Männern mit hohem Unterstützungsbedarf mit großer Sorge. Besonders wenn sich der Gesundheitszustand stark verschlechtert sind oftmals vielfältige Entscheidungen zutreffen. Hier besteht die Befürchtung, dass es zu einer unverhältnismäßigen Vermehrung von bürokratischen Schritten und anderen Erschwernissen für eine ohnehin schon außerordentlich belastete Gruppe der begleitenden  Angehörigen kommt, die oftmals zu ständiger Präsenz im Alltag gezwungen sind und konstant körperlich und psychisch herausfordernde Pflegeleistungen erbringen.

Wir schlagen daher dringend vor, dass es für diese notwendigen Neubeantragung von Vertretungen für Personen, die einen sehr hohen und komplexen Unterstützungsbedarf haben und daher dringend auf gute, verlässliche Vertretung angewiesen sind, ein möglichst einfaches Verfahren – eher ein spezielles Monitoringsystem – geben soll.

Eine große Unsicherheit besteht auch darüber, was es für die Abläufe bedeutet, wenn bestehende Sachwalterschaften in das System der gerichtlichen Erwachsenenvertretung  übergeführt werden.

Qualifikation und Fortbildung

Damit das Erwachsenenschutzgesetz menschenrechtskonform umgesetzt werden kann, sind vermehrte Anstrengungen für die Qualifikation von Fachleuten zu unternehmen.

Gerade ÄrztInnen und therapeutisches Personal sind gefordert, die Einsichts- und Urteilsfähigkeit von PatientInnen zu beurteilen,  medizinische Maßnahmen verständlich zu erklären, die Vorteile und Risiken nachvollziehbar darzustellen sowie den persönlichen Willen der Patientin/des Patienten zu respektieren. Derzeit berichten unsere Mitglieder immer wieder von vielen völlig unzureichenden ärztlichen Aufklärungen und großem „Übersetzungsaufwand“. Hier sind insbesondere auch die kommunikativen Fähigkeiten zu schulen, was ja allen PatientInnen zu Gute kommen wird.

Die Lebenshilfe Österreich regt an, ÄrztInnen, therapeutischem Personal, MitarbeiterInnen bei Behörden usw. einen Leitfaden zur Verfügung zu stellen für den Umgang mit Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung als PatientInnen, KundInnen, Parteien oder VertragspartnerInnen.

Wir  schlagen auch vor, die vorgesehen Erfordernisse der Qualifikation für RechtsanwältInnen und NotarInnen, die besonders für die Übernahme von Vorsorgevollmachten und Erwachsenenvertretungen besonders geeignet sind, um eine zusätzliche periodische Fortbildungs- und Supervisionsverpflichtung analog den gerichtlich beeideten Sachverständigen und Mediatoren zu ergänzen, um die notwendigen hohen fachlichen Standards sicherzustellen.

Entlohnung und Kontaktrecht

Wir sehen noch Unklarheiten bezüglich der Voraussetzungen unter denen der Entlohnungsanspruch des Erwachsenenvertreter nicht forderbar ist, zumal im Entwurf des Gesetzes keine Kriterien für die „Gefahr der Befriedigung der Lebensbedürfnisse der vertretenen Person“ genannt werden und keine Ausfallsfinanzierug für den Aufwand des Erwachsenenvertreters vorgesehen ist.

Gerade unsere SelbstvertreterInnen merken an, dass die Nichteinhaltung des mindestens einmal im Monat festgesetzten Kontaktrechts sanktioniert werden sollte, um dieser Verpflichtung entsprechend Nachdruck zu verleihen. Im Licht einer qualitätvollen Vertretung schlagen wir auch vor, die Höchstzahl der jeweils übernommenen Vertretungen mit 15 zu begrenzen.

Im Übrigen schließt sich die Lebenshilfe Österreich vollinhaltlich der Stellungnahme der ÖAR an.

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