Albert Brandstätter im Interview über die Forderung „Gehalt statt Taschengeld“:
Der Slogan „Gehalt statt Taschengeld“ verkürzt doch einen sehr komplexen Zusammenhang?
Aber er ist richtig, denn es geht darum Chancengleichheit zu schaffen. Statt dem bisherigen System soll Menschen mit Behinderungen ein vollwertiges Dienstverhältnis ermöglicht werden.
Wen betrifft diese Forderung?
Mindestens 23.000 Österreicherinnen und Österreicher mit Behinderungen arbeiten in Werkstätten und Tagesstrukturen, zum Beispiel in Gärtnereien, Küchen, Kaffeehäusern, Holzwerkstätten, Baumärkten – ohne Gehalt, Sozialversicherung und eigenem Pensionsanspruch. Sie sind bei ihren Eltern mitversichert, haben am Ende ihres Arbeitslebens eine Waisenpension – wenn sie Glück haben auf der Grundlage einer guten Beamtenpension, wenn sie nicht so großes Glück haben auf Grundlage der ASVG-Pension einer Halbtagsangestellten.
Woher kommt dieses System?
Das ist ein traditionelles Sicherungssystem aus Jahrzehnten vor der Jahrtausendwende. Es kommt aus einer Zeit, in der wohlmeinend auf Sicherheit für diese Personengruppe geachtet wurde – und diese Sicherheit geschah auf Basis einer Familienabsicherung und in einem Versorgungssystem.
Was ist der rechtliche Hintergrund?
Das Versorgungssystem besteht aus der Absicherung über Transferleistungen, über Angehörige und zuletzt aus einer Waisenpension!
Das bedeutet, dass die Personen mit Behinderungen, die als über 50 Prozent erwerbslos eingestuft sind, kein (kollektivvertragliches) Entgelt sondern ein geringes Taschengeld: durchschnittlich zwischen Euro 40.- und Euro 140.- monatlich,und daher keine eigenständige Sozialversicherung und keine eigene Pension haben, immerhin seit einigen Jahren eine Unfallversicherung.
Die gesetzlichen Bestimmungen über ArbeitnehmerInnenschutz, Urlaub und Krankenstand, MitarbeiterInnenvorsorge sowie Arbeitsverfassung (zB. gewerkschaftliche Vertretung) gelten nicht.
Wie ist die Bezahlung in Werkstätten in Österreich?
Sie ist höchst heterogen, es gibt keine bundeseinheitlichen Mindeststandards, sondern das höchst unterschiedlich geregelt: pro Bundesland gibt es unterschiedliche Gesetze und Regelungen, ja sogar in einer Organisation kann dies von den jeweiligen Standorten abhängig sein.
Was soll sich ändern?
Eigentlich muss man nur die Bundesverfassung beachten, denn sie verbietet Benachteiligung eindeutig. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden, so steht es im Bundesverfassungsgesetz. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten. In der Staatenprüfung 2019 ist eine Vorbereitung dringend nötig – denn seit der Prüfung 2013 hat sich in diesem Bereich wenig getan!
Was sind Ihre Argumente für Veränderung?
Wir brauchen geänderte Rahmenbedingungen, damit Menschen mit Behinderungen ihr Leben eigenständig und unabhängig gestalten können: sich frei zu entscheiden, wie und mit wem man wohnt, welche Unterstützungsleistungen man in Anspruch nimmt, wie man die Freizeit verbringt und welche Arbeit man machen will.
Das bedeutet letztlich ein individuelles Recht auf Teilhabe am Arbeitsleben: Menschen in Tagesstrukturen sollen mit Arbeitnehmer*innen gleichgestellt werden. Statt als „nicht erwerbsfähig“ sollen sie als ArbeitnehmerInnen anerkannt werden: dafür muss aber die willkürliche und starre 50% – Grenze (Erwerbsunfähigkeit) fallen!. Dadurch würden sie auch Anspruch auf Urlaub, Pension, Arbeitslosengeld, Kuren, Abfertigung etc. erhalten. Menschen mit intellektuellen Behinderungen können dann in in einem erweiterten Arbeitsmarkt statt in Sonderarbeitsmärkten tätig sein, in Firmen mit entsprechender Unterstützung arbeiten können.
Es soll also ein Weg von der Werkstätte in den regulären Arbeitsmarkt innerhalb eines inklusiven erweiterten Arbeitsmarktes möglich sein. Dafür brauchen wir eine Entlohnung innerhalb eines bestehenden Kollektivvertrags und Anreize für den Eintritt in den regulären Arbeitsmarkt.