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Lebenshilfe Tirol: OGH Grundsatzurteil stärkt Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen

Von 28. Februar 2024 Keine Kommentare
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Lebenshilfe Tirol: OGH Grundsatzurteil stärkt Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen

Von 28. Februar 2024 Keine Kommentare

Selbstbestimmung vs. Aufsichtspflicht bei Menschen mit Behinderungen

Selbständig den Alltag gestalten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, Besorgungen machen, arbeiten, Veranstaltungen besuchen – all das ist für viele Menschen mit Behinderungen auch heute noch nicht selbstverständlich.

In der UN-Behindertenrechtskonvention ist das Recht auf Selbstbestimmung und Teilhabe klar festgehalten. Die Lebenshilfe Tirol nimmt das sehr ernst und folgt dem Auftrag des Tiroler Teilhabegesetzes, Klient*innen ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Ausgebildete und verantwortungsbewusste Mitarbeiter*innen gehen dazu individuell auf die Fähigkeiten, Möglichkeiten und Lebensumstände jeder Person ein. Wenn ein Klient zum Beispiel allein einkaufen gehen möchte, wägen Assistent*innen gemeinsam mit ihm ab, unter welchen Bedingungen das für ihn möglich ist. Mit einem sorgfältig und individuell auf ihn abgestimmten Training befähigen sie ihn dann, sein Ziel zu erreichen.

Ein Wunsch wird ernst genommen
Ein Klient an einem Arbeitsstandort der Lebenshilfe Tirol äußerte vor etwa fünf Jahren genau diesen Wunsch. Mit den Assistent*innen übte er monatelang den Weg zum Supermarkt sicher zurückzulegen und insbesondere auch den Zebrastreifen zu benutzen. Der Verlauf des Trainings wurde schriftlich dokumentiert. Als die Assistent*innen sich davon überzeugt hatten, dass der Klient die Gefahren im Straßenverkehr erkennen und mit ihnen umgehen kann, war der Weg frei: Der Klient konnte seinem Wunsch gemäß allein einkaufen gehen. Eines Tages überquerte er aber die Straße, ohne den Zebrastreifen zu benutzen. Er wurde von einem Auto erfasst und schwer verletzt.

Streitfall Aufsichtspflicht
Die Beifahrerin des Unfalllenkers verklagte die Lebenshilfe Tirol daraufhin auf Schadensersatz. Der Klient hätte ihrer Meinung nach nicht allein Richtung Supermarkt gehen dürfen, sie vermutete eine Verletzung der Aufsichtspflicht.

Selbstbestimmung wiegt mehr
Zwei gute Nachrichten gibt es nun zu vermelden: Der Mann hat sich von seinen Verletzungen inzwischen gut erholt. Und der OGH hat nach einem langen Rechtsstreit nun ein Grundsatzurteil gefällt. Er folgt darin der Argumentation der Lebenshilfe Tirol und stellt fest, dass die Assistenz nicht mit einer Aufsichtspflicht einhergeht. Volljährige Menschen mit Behinderungen müssen und sollen also nicht grundsätzlich rund um die Uhr „beaufsichtigt“ werden, weil das in klarem Widerspruch zu ihrem Recht auf Selbstbestimmung stehen würde. Nur wenn die Lebenshilfe Tirol ihre „allgemeinen Verkehrssicherungspflichten“ verletzt hätte, so der OGH, müsse die Haftung und daraus folgend eine Verpflichtung zur Leistung von Schadenersatz geprüft werden. Verkehrssicherungspflicht bedeutet in diesem Zusammenhang, dass im täglichen Umgang Rücksicht auf andere zu nehmen ist und dass Gefahrenquellen abgesichert werden müssen, soweit dies zumutbar ist. Gerade bei der Prüfung dieser Verkehrssicherungspflichten sei laut OGH die UN-Behindertenrechtskonvention zu berücksichtigen, in der die Achtung der individuellen Autonomie von Menschen mit Behinderungen und das Recht auf selbstbestimmtes Leben verbrieft sind. Die Schadenersatzforderung der Klägerin wurde folglich abgewiesen.

Urteil als wegweisendes Signal
„Dieses Grundsatzurteil ist ein wegweisendes Signal für Menschen mit Behinderungen: Ihre Selbstbestimmung und Teilhabe an der Gesellschaft sind Menschenrechte, die nun auch in der österreichischen Rechtsprechung verankert sind. Dieses Urteil konkretisiert die Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention, die von Österreich 2008 ratifiziert wurde“, so Georg Willeit, der Geschäftsführer der Lebenshilfe Tirol.

„Darüber hinaus ist es ein juristischer Meilenstein für alle anderen Organisationen in Österreich, die Menschen mit Behinderungen begleiten: Laut OGH haben sie nicht die Aufgabe, sämtliche Risiken von Dritten auszuschließen, denn das ginge auf Kosten der Selbstbestimmung und der Freiheitsrechte eines volljährigen Menschen mit Behinderungen,“ bringt es Philippe Narval, Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich, auf den Punkt.

Über die Lebenshilfe
Die Lebenshilfe Tirol begleitet rund 1000 erwachsene Menschen mit Behinderungen beim Arbeiten, beim Wohnen und in der Freizeit.
Die Lebenshilfe Österreich ist der Dachverband der insgesamt acht Lebenshilfe-Landesorganisationen, mit Hauptsitz in Wien. Sie vertritt die Rechte von Menschen mit intellektuellen Behinderungen auf Bundesebene. Die Lebenshilfe Österreich engagiert sich für die Verwirklichung einer inklusiven Gesellschaft auf Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention und formuliert konkrete Forderungen an Politik, Entscheidungsträger und die Gesellschaft. Für mehr Chancengleichheit von Menschen mit intellektuellen Behinderungen.

Das OGH-Urteil zum Nachlesen: Entscheidungstext

Informationen in einfacher Sprache
Vertreter*innen der Lebenshilfe Steiermark haben gemeinsam mit Selbstvertreter*innen Informationen zum Fall, das Gerichtsurteil und die Bedeutung dieses Urteils für Menschen mit Behinderungen, deren Angehörige und Mitarbeiter*innen der Lebenshilfen zum Nachlesen in einfacher Sprache verfasst.
Diese Infos in einfacher Sprache kannst du unter diesem Link nachlesen.

Rückfragehinweis
Lebenshilfe Tirol gem. GmbH
Mag. Manfred Lechner
Redaktion
+43 (0)676 88 50 9303
redaktion@lebenshilfe.tirol