Kammerschauspielerin Julia Gchnitzer hat gelernt, aufmerksamer auf Menschen hinzusehen. Im Gespräch mit Hanna Kamrat.
Hanna Kamrat ist im Selbstvertretungs-Beirat der Lebenshilfe Österreich. Am Rande einer Pressekonferenz „Gegen Barrieren“ sprach sie mit der Tiroler Kammerschauspielerin Julia Gschnitzer, die heute in Salzburg lebt.
Hanna Kamrat: Gab es einmal Barrieren, die sie glaubten nicht zu überwinden?
Julia Gschnitzer: Erst vor kurzem war ich in der Situation, dass ich befürchtet habe, ich könnte im Rollstuhl landen. Zum Glück hat sich das wieder eingerenkt ich bin sehr dankbar.
Sind Ihnen als Schauspielerin Barrieren in Erinnerung, die Sie oder Kollegen überwinden?
Zu einem gewissen Grad ist jede Rolle eine Hürde. Man kann ja nicht alles schon erlebt haben, was man auf der Bühne darstellen muss. Also brauche ich meine ganze Fantasie, um mich da hineinzudenken. Mit dieser Bereitschaft, Neugierde und Offenheit versuche ich auch auf Menschen zuzugehen. Denn ein Schauspieler der nicht sensibel ist, kann nicht nachfühlen.
Wenn wir an den Beginn der Lebenshilfe zurückblicken: Was hast sich seither verändert?
Ich hab im Nationalsozialismus erlebt, was mit Behinderten in der Nachbarschaft geschehen ist. Ich hab’s als Kind nicht ganz begriffen, aber es hat mich zu Tode erschüttert und für den Umgang mit Menschen mit Behinderung sensibilisiert.
Was würden Sie heute verändern?
Seither hat sich einiges entwickelt. Aber erst in den letzten 20 Jahren tut man wirklich etwas oder versucht Betroffene ernst zu nehmen. Es sucht sich ja niemand eine Behinderung körperlich oder geistig aus. Wenn Menschen ihr Leben meistern, gebührt ihnen der größte Respekt.
Wenn Sie eine Woche im Rollstuhl wären, was würden Sie sich von anderen wünschen?
Noch heute haben viele Hemmungen, wenn sie mit Menschen mit Behinderung zu tun haben, statt sie anzunehmen. Wenn ich in so einer Situation wäre, möchte ich nicht bemitleidet sondern akzeptiert werden wie ich bin.
Wenn ich einkaufe oder zahlen will, sprechen Verkäufer meist mit meiner Begleiterin statt mit mir und trauen mir oft nichts zu.
Die Gesellschaft ist da offensichtlich immer noch nicht so weit! Da kann man nur drüber den Kopf schütteln. Denn im Grunde sind sie ja die Dummen.
Haben sie selber einmal erlebt, dass man Menschen nichts zutraut?
Meine Halbschwester, erkrankte mit 3-4 Jahren an Kinderlähmung und war schwerstbehindert. Mein Vater hat Spezialisten aufgesucht… Sie blieb gehbehindert. Aber sie hat geheiratet, drei Kinder geboren und erledigt heute als Großmutter noch den Haushalt vom Rollstuhl aus. Das haben wir ihr alle nicht zugetraut – und gelernt. Heute weiß ich, dass man nach dem Äußeren nicht urteilen kann, was in einem Menschen verborgen ist und welche Kräfte er entwickeln kann. Denn ich hab sie nie klagen gehört.
Sie haben auch mit Schauspielern aus der Lebenshilfe den „Jeder-Mensch“ aufgeführt. Wie verlief die gemeinsame Arbeit?
Es sind 10 Jahre her, dass ich in Salzburg diese Bearbeitung des Jedermann gespielt habe – mit Kollegen mit und ohne Behinderung. Ich war anfangs schon etwas verunsichert, doch in den Proben erkannte ich, mit welcher Einsatz die Kollegen hier arbeiten. Die Männer und Frauen haben alles gegeben, getanzt und sich getraut in die Rolle reinzugehen ohne jegliche Sorge, sich zu blamieren. Es war für mich ein ganz großes Erlebnis.
Haben Sie auch einmal Theater gespielt?
In meiner Schulzeit in Tirol haben wir zu Weihachten Theater gespielt. Weil ich gut lesen konnte, war ich immer die Erzählerin.
Gibt es eine Rolle in die Sie gerne Schlüpfen würden?
Ich würde gern Stewardesse sein und die Welt bereisen. Oder am Meer leben, wo ich mich entspannen könnte und meine Ruhe habe. Ja, wer wie wir beide mit vielen Menschen zu tun hat, braucht auch die Ruhe – das ist die andere Seite.
Wir danken Julia Gschnitzer für das aufschlussreiche Interview und freuen uns, dass sie gegen Barrieren in Kopf und Alltag kämpft!