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Inklusion

Über die Grenzen der Normalität

Von 12. November 2014 Keine Kommentare
Inklusion

Über die Grenzen der Normalität

Von 12. November 2014 Keine Kommentare

Kommentar von Mag. Albert Brandstätter.

„Es ist noImg_AB_Blogrmal verschieden zu sein.“ Das Wesentliche ist hier präzise beschrieben – 1993 auf dem Bundeskongress der Lebenshilfe Deutschland durch Richard v. Weizsäcker. Dieser Satz ist noch immer mehr Utopie als Wirklichkeit. Zum einen hat unsere Gesellschaft keine wirkliche Vorstellung von gelebter Verschiedenheit. In letzter Konsequent ist Normalität immer begleitet von Ausgrenzung und Abgrenzung vom Verschiedenen, Fremden, nicht so Schönen, nicht so Leistungsfähigen. Zum anderen müssen wir ehrlicherweise feststellen: Trotz aller Inklusionsrhetorik, trotz aller Versprechen auf Einlösung der Menschenrechte, trotz aller Versuche Normalität herzustellen sind wir von wirklicher Gleichstellung behinderter Menschen weit entfernt.

Zwischen Regel- und Restschule
Immer wieder höre ich in der Debatte um Sonderschulen den Einwand: „Aber was machen wir mit den ‚schwer behinderten‘ Kindern, was mit den Verhaltensauffälligen? Brauchen Eltern nicht Wahlfreiheit, in welche Schule sie ihre Kinder mit Beeinträchtigungen schicken. Ja, die „leicht behinderten“ können ja durchaus in die Regelschule, aber da gibt es doch einen kleinen Rest…“ Die Sorgen von Eltern mit Kindern mit komplexen Beeinträchtigungen oder schwierigen Verhaltensweisen für eine gute Schulsituation sind natürlich ernst zu nehmen. Wenn dies aber zu einem Leitprinzip der Schulplanung wird, so müssen wir fragen: Wird hier die Grenze der Normalität unter dem Vorwand der Schwierigkeit und Fürsorge einfach ausgedehnt, wird hier nicht eine Restgröße behinderter Kinder als letztlich „inklusionsunfähig“ beschrieben? Wird ihr Defizit proklamiert, weil sie zu teuer für angemessene Unterstützung im Regelschulbetrieb sind? Wird also die Sonderschule endgültig zur Restschule? Oder schaffen wir den Übergang zu inklusiven Schulen mit einer hochstehenden Unterstützung für die individuellen Bedarfe aller SchülerInnen?

Verordnung zur Differenz
Seit der französischen Revolution, in deren Gefolge die Gleichheit der Menschen zum Recht erhoben wurde, haben die modernen Staaten Prozesse der Ausgrenzung und Integration festgeschrieben und institutionalisiert. Dem Postulat der Gleichheit folgt die Aussonderung derer, die weniger gleich sind, deren Differenz entweder kulturell oder von Natur aus verursacht scheint. Nicht die Gesellschaft bewirkt Andersartigkeit, sondern die Befremdlichkeit liegt im Defizit des Einzelnen. Das ist die Stunde der Medizin, der Psychopathologie und der Sonderpädagogik. Noch heute werden Menschen mit Beeinträchtigungen ständig in Kategorien eingeteilt: Sonderpädagogischer Förderbedarf, Einstufungsverordnung, Pflegegeld, Invaliditätspension, Individueller Hilfebedarf – teilweise mit widersprüchlichen Ergebnissen. Menschen werden nicht als Ganzes, sondern fragmentiert, nicht als fähig, sondern als begrenzt beschrieben. Hier drängen wir auf eine einheitliche, prozesshafte Neuordnung für einen Unterstützungsbedarf im Sinne des sozialen Modells von Behinderung, gerade auch um ausgrenzende Typisierungen als „behindert“ zu vermeiden.

Werkstätten für Inklusionsunfähige?
Zur Funktionslogik moderner Gesellschaften gehört die Leistungsfähigkeit. Wer nicht mit vielen Zertifikaten, Kompetenzen, Mobilität und Kommunikationsfähigkeit ausgestattet ist, hat wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenzahlen behinderter Menschen zeigen dies. Verschärft wird dies wiederum bei Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf. Selbst wenn wir einen inklusiven Arbeitsmarkt schaffen, droht die Situation, dass unsere Werkstätten zu Rest-Arbeitsstätten für die „teuren“ weil „schwierigen“ Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen werden. Auch hier müssen wir achten, dass die Grenzen der Normalität und der Inklusion nicht vorzeitig für diese Gruppe geschlossen werden.

Wir und die anderen
Letztlich erweist sich Normalität und das Anerkennen von Verschiedenheit daran, dass wir „den Anderen“ als geistreich, als schön, als wertvoll, begehrenswert, als zur Selbstbestimmung und Selbst-Tätigkeit fähig erleben. Doch die gesellschaftliche Normalität ist noch immer so, dass behinderte Menschen als unansehnlicher, als weniger fähig, als arm typisiert werden. Jugend-, Schlankheits-, Gesundheits- und Vollkommenheitspostulate tun ihr übriges um jede Abweichung von den Kult- Bildern mit Misstrauen oder bestenfalls Mitleid zu betrachten. Erst wenn behinderte Menschen auch in der öffentlichen Ästhetik als schön wahrgenommen werden, wird Inklusion gelingen.
Inklusion und Normalität beziehen sich letztlich auf Ausgrenzungen. Und hier müssen wir ansetzen. Zusätzlich zur Umsetzung der Bürgerrechte sollten wir die Gesellschaft und Kultur als Ganze in den Blick nehmen: Wo werden andere als weniger wertvoll, als befremdlich oder gar bedrohlich erachtet? Wo geschieht das systematisch und institutionell, wo liegt es an Einzelnen? Und umgekehrt: Wie werden Kulturen des Willkommen-heißens, der Anerkennung von Verschiedenheit, ja auch der Freundschaft Normalität?

Mag. Albert Brandstätter ist Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich

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