Gehalt statt Taschengeld
Die Mehrzahl der Menschen mit intellektuellen Behinderungen verbringt fast ihr gesamtes Erwachsenenleben in einer Werkstätte. Die Tätigkeit, die sie dort verrichten, ist keine Erwerbsarbeit. Deshalb bekommen die Personen auch kein Entgelt oder einen Lohn. Sie sind auch nicht eigenständig krankenversichert und haben keinen Anspruch auf eine eigene Alterspension.
Arbeit und gerechte Entlohnung sind ein Menschenrecht
Nach Artikel 27 der UN-Konvention haben Menschen mit Behinderungen das gleiche Recht auf Arbeit wie alle anderen auch. Das beinhaltet auch das Recht, sich selbst den Lebensunterhalt zu verdienen. Daher fordert die Lebenshilfe Österreich für Menschen mit intellektuellen Behinderungen in den Werkstätten eine gerechte Entlohnung und volle Einbindung in die gesetzliche Kranken- und Pensionsversicherung.
Vorschläge liegen am Tisch
Grundlage für die berufliche Eingliederung von Menschen mit Behinderungen ist ein offener und inklusiver Arbeitsmarkt. In der Praxis entsprechen die derzeitigen Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten in Österreich jedoch nicht diesem Standard. Um eine reale Chance auf Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt zu erhalten, sollen Betriebe gute und einfache Fördermöglichkeiten erhalten.
Durch das Abspielen willigen Sie ausdrücklich in die Übermittlung von technischen Informationen (insb. IP-Adresse) an „Google“ in die USA ein. Nähere Informationen zur Drittlandübermittlung, den damit verbundenen Risiken und zu Ihrem Recht auf Widerruf finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Anregungen für die Umsetzung
- Schaffung eines Grundsatzgesetzes des Bundes für die Personengruppe, die nach derzeitiger Definition als „originär invalid“ gilt. Dies soll auf die einheitliche Verankerung der sozialversicherungspflichtigen Be-schäftigung von Menschen mit Behinderungen in den behindertenrechtlichen Materien der Bundesländer abzielen. Der individuell durchsetzbare Rechtsanspruch soll die Art der Beschäftigung (Anwendbarkeit materiellen Individualarbeitsrechts), di
e Höhe eines (Mindest-)Lohns, die Anwendung des jeweiligen Kollektivvertrags sowie die Justizabilität des Anspruchs sicherstellen. - Schaffung geeigneter Finanzierungsformen von sozialwirtschaftlichen Organisationen und deren Unternehmen, die Menschen mit Behinderungen beschäftigen, Unternehmen der gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassung sowie von inklusiven (ge-winnorientierten) Unternehmen. Dies soll vor allem über einenLohnkostenzuschuss erfolgen, der sich nach der prozentuellen Bewertung des Unterstützungsbedarfs be-misst und der jedem/r Beschäftiger*in offensteht. Insbesondere muss auch Menschen mit hohem und komplexem Unterstützungsbedarf die berufliche Teilhabe ermöglicht werden. Die finanziellen Ressourcen sollen aus einem Inklusionsfonds stammen.
- Beseitigung der Zugangshürde zu Leistungen des Bundes (Arbeitsmarktservice, Sozialministerium) für Personen, die momentan als arbeitsunfähig gelten. Schaffung ei-nes bedarfsgerechten Zugangs zu berufsunterstützenden Maßnahmen, Beratungs- und Vermittlungsleistungen und Ermöglichung von Fort- und Weiterbildung.• Etablierung eines individualisierten und multidisziplinären, funktionsorientierten Assessment des Unterstützungsbedarfs. Erforderlich ist eine Ressourcen- und fähigkeitsorientierte Bewertung der Erwerbsminderung und des Gesundheitszustandes, zugleich auch eine Vereinfachung der Verfahren (One Stop Shop Prinzip) sowie eine partizipative Ausgestaltung dieser Verfahren.
- Finanzierung von „Real-Laboren“ in jenen Bundesländern 2021-2023, die sich be-reit erklären, Pilotprojekte durchzuführen, um die Voraussetzungen, Bedingungen, Kosten und Folgen inklusiver Beschäftigung mittels einer ausgewählten (repräsenta-tiven) Teilnehmer*innen-Gruppe zu testen und einheitlich ausgestaltet begleitend zu evaluieren und anschließend national umzusetzen.
Ein inklusiver und durchlässiger Arbeitsmarkt für alle. Setzen wir gemeinsam die nächsten Schritte!
Out of the box – aus dem Rahmen denken! In unserer Vision einer inklusiven Arbeitswelt stehen die Türen offen. Es gibt Entfaltungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Traditionelle Berufsbilder werden durch Neue ergänzt und sich gänzlich wandeln.
..nehmen wir zum Beispiel Michael. Er ist taub und blind, hat eine komplexe Behinderungen. Eine selbstbestimmte Zukunft nicht vorstellbar. Bis ein Unterstützerkreis aus Angehörigen, Bekannten und Vereinen versuchte, Michaels Stärken herauszufinden…
Das Fazit: Michael ist wie geboren für das Umfeld auf einem Bauernhof! Die Suche begann und mitten in der Stadt auf einem Museums-Bauernhof startete Michael den ersten Job seines Lebens: er sammelt Eier ein – wie mit Samthandschuhen! Der Bauer hätte erst nicht daran gedacht, jemanden für das Sammeln der Eier zu einzustellen. Jetzt ist er froh, weil er durch die gesparte Zeit viel mehr im Vertrieb herausholen kann. Think out of the box and get lucky!
Sechs Schritte zu inklusiver Arbeit
- Inklusive Arbeitsverhältnisse schaffen
Betriebe und Firmen sollten grundsätzlich die Verpflichtung haben, inklusive Arbeitsverhältnisse zu schaffen. Dafür sollen sie aber auch Anreize und Hilfestellung zur inklusiven Gestaltung von Arbeitsplätzen erhalten. Die Unterstützungssysteme sind so zu gestalten, dass Menschen mit Behinderungen und Menschen mit hohen und komplexem Unterstützungsbedarf am Arbeitsleben teilhaben können. Dafür bedarf es des Ausbaus unterstützter Beschäftigung, persönlicher Assistenz oder von Projekten der gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassung bei voller sozialversicherungspflichtiger Absicherung.
- Tages- und Beschäftigungsstrukturen neu ausrichten
Allerdings brauchen wir dabei dennoch Tagesstrukturen, sei es um den Übergang in ein neues System zu begleiten oder bei Bedarf und bei Nachfrage geschützte Räume anzubieten, sei es um Inklusionskompetenz im Bereich Arbeit zu vermitteln. Dies bedeutet aber eine Neuausrichtung der Werkstätten! Aus NutzerInnen von „Werkstätten“ werden DienstnehmerInnen an inklusiv gestalteten Arbeitsplätzen mit kollektivvertraglichem Entgelt und Ansprüche aus der gesetzlichen Sozialversicherung. Diese Arbeitsplätze sollen in sozialwirtschaftlichen Betrieben sein, die selbstverständlicher Teil des Arbeitsmarktes sind.
Die Werkstätten und Tagesstrukturen sollen sich daher in Richtung gemeindenaher Unterstützungsdienste (Artikel 19 Behindertenrechtskonvention) im Sinne von Bürger- und Bürgerinnenzentren entwickeln. Gesellschaftlicher Gruppen und der Lebensraum der Menschen werden dabei einbezogen werden.
Für diese doppelte Zielsetzung – inklusive Arbeitsverhältnisse auf dem freien Arbeitsmarkt und gleichzeitig Umwandlung der traditionellen Werkstätten brauchen wir Grundlagen und Absicherungen. Dafür dienen die folgenden vier Schritte:
- Einkommen und Absicherung von Menschen mit Behinderungen sichern
Das Einkommen soll für Menschen mit Behinderungen durch einen regulären Erwerbslohn und darüber Einbeziehung in die Sozialversicherung oder durch eine Mindestsicherung in geeigneter Höhe abgesichert sein. Dies kann durch die Kombination verschiedener Unterstützungsleistungen oder durch die individualisierte Entscheidung über die Arbeitsfähigkeit geschehen.
- Einstufung von Menschen mit Behinderungen neu gestalten
Die Einstufung von Menschen mit Behinderungen soll vereinheitlicht und personenzentrierter werden. Die derzeitige 50% Grenze für die Arbeitsfähigkeit und die damit verbundenen Ausschließung von regulären Arbeitsverhältnissen ist starr und willkürlich festgesetzt. Sie muss nach ihrer Evaluierung fallen.
Stattdessen muss eine individualisierte Entscheidung möglich sein. Das derzeit rein medizinische Einschätzungsverfahren soll zu einer ganzheitlichen, evidenzbasierten, personenzentrierten und multidisziplinären Begutachtung erweitert werden.
Das Ziel ist die Unterstützung zur Teilhabefähigkeit der Menschen, nicht die Feststellung ihrer Defizite.
- Einheitliche Förderschienen schaffen
Bund und Länder sollen eine gemeinsame Anlaufstelle sowie eine einheitlichen Förderungsschiene (One Stop Shop) einführen. Als ein erster Schritt sollte eine systemübergreifende Kooperation zwischen AMS, BSB und Trägern der Sozialversicherung erfolgen.
Menschen mit Behinderungen sollen besser in die Invaliditätspension einbezogen werden: Die Beitragszeiten für die Pflichtversicherung sollen von bisher 10 auf 5 Jahre reduziert werden.
Diese Schritte können verwirklicht werden. Sie sind notwendige Schritte nach vorne. Sie betreffen die Budgets des Bundes und der Länder, sie betreffen sozialpolitische Regelungen. Wir sind bereit sie zu gehen. Die Lebenshilfe glaubt, dafür auch Partnerinnen in der Wirtschaft, in der Politik und natürlich in der Zivilgesellschaft zu finden und lädt sie zu einem Dialog dazu ein.
Daten und Fakten
- Derzeit leben geschätzte 85.000 Menschen mit intellektuellen Behinderungen in Österreich.
- Es gibt kaum gesicherte Daten zur Arbeitssituation von Menschen mit Behinderungen, insbesondere von Menschen mit intellektuellen Behinderungen.
- Etwas 20.000 Menschen mit intellektuellen Behinderungen und psychosozialen Beeintrchtigungen arbeiten in Tagesstrukturen wie in Werkstätten.
- Menschen mit intellektuellen Behinderungen sind in allen Bereichen des Arbeitsmarktes unterrepräsentiert.
- Tätigkeiten in Tagesstrukturen und Werkstätten fallen nicht unter Erwerbsarbeit. Die Bundesländer stützen diese Maßnahmen im Rahmen der Sozial- und Behindertenhilfe.
- Personen in Tagesstrukturen sind nicht arbeitslosenversichert. Sie erhalten für ihre Arbeit kein Entgelt, sondern nur ein geringes Taschengeld. Das durchschnittliche monatliche Taschengeld liegt bei ca. 45 -150 Euro, wobei die Beträge stark variieren. Der österreichweite Median liegt bei 54 Euro.