Gleich zwei wichtige Anlässe gibt es dieser Tage, um das Thema Pränataldiagnostik aus medizinischer, vor allem aber aus ethischer Sicht zu betrachten.
Durch eine Volksabstimmung wurde nun auch in der Schweiz (wie im vorigen Jahr schon in Österreich) einer Zulassung der Pränataldiagnostik zugestimmt. Gegner warnen gleichzeitig vor einem Missbrauch und vor dem Umstand, Behinderung könne zukünftig nur mehr als „vermeidbares Defizit“ einer Gesellschaft gesehen werden. Das wiederspricht der Idee der Inklusion, wobei werdende Eltern unter massiven Druck geraten.
Darüber hinaus hat kürzlich eine gemeinsame Ethik-Tagung der Lebenshilfe Österreich, Deutschland und der Schweizer Organisation insieme, sowie dem Berliner Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft zum besagten Thema in Berlin stattgefunden.
Doch was bedeutet Pränatal-Diagnostik eigentlich für unsere Gesellschaft?
Unser Präsident Germain Weber war in Berlin zum Einführungsvortrag und klärt auf…
Bei der Anwendung von Methoden der Nicht-Invasiven Pränatal-Diagnostik (PID, Bluttest) wird in der Regel von der werdenden Mutter erwartet, sich gegen eine auffällige, medizinisch nicht erwünschte Chromosomen- oder Genbeschaffenheit bei Eizelle oder Fetus zu entscheiden.
Bezogen auf Formen genetischer Spielvarianten und damit zusammenhängenden zukünftigen Entwicklungsherausforderungen dieses Menschen, führt diese Aussonderungsmöglichkeit zu einer Schwächung der gesellschaftlichen Position für bestimmte Menschen, wie z.B. Menschen mit Down Syndrom.
Diese genetisch gesteuerte vorgeburtliche Exklusionspolitik wiederum steht in scharfem Kontrast bzw. Widerspruch zur politischen Zielsetzung gesellschaftlicher Vielfalt, Gleichstellung und Nicht-Diskriminierung, also im Widerspruch zur sozialen Inklusion von Menschen mit Behinderungen.
Demnach verhalten wir uns paradox:
Einerseits entwickelt sich in unserer Gesellschaft eine moderne Fortpflanzungspolitik, die, basierend auf Überlegungen der Eugenik, ein gesellschaftliches Angebot unterbreitet, das zur Annahme einer radikalen, ablehnenden Haltung gegenüber einem potentiellen Menschen mit Behinderung einlädt: gesellschaftlicher Ausschluss gegenüber einem „zu erwartenden“ Menschen. Die Verantwortung hierfür nehmen die direkt Betroffenen, in der Regel die werdende Mutter.
Andererseits nutzen wir die Prinzipien der Menschenrechte, im speziellen die UN-Behindertenrechtskonvention, um eine inklusive Gesellschaft zu weiterzuentwickeln, eine Gesellschaft in welcher Menschen mit und ohne Behinderung miteinander gleichgestellt zusammenleben leben.
Dieses Paradox zwischen Exklusion über Pränatal-Diagnostik und gesellschaftlicher Inklusion wird in einer pluralen Gesellschaft kaum aufzulösen sein!
Das Paradox lebt von zwei unterschiedlichen ethischen Sichtweisen gegenüber dem Menschen-Sein: Der Mensch als Selbstzweck bzw. der Mensch als Mittel zum Zweck! Oder anders ausgedrückt: Der gesellschaftliche Platz des Menschen betrachtet aus der Perspektive der Menschenrechte und der gesellschaftlichen Verteilungsgerechtigkeit oder aber betrachtet aus einer der vielen Varianten des Utilitarismus!
Und dann bleibt noch zu bedenken: Auch mit allen gesicherten materiellen Unterstützungen, ist ein Kind mit Behinderung für Mutter und Familie auch heute mit deutlich erhöhtem finanziellen Aufwand verbunden.
Dazu kommt, dass die öffentliche Hand in Österreich Rekurs gegenüber Mutter und Familie führen kann, um Aufwendungen, die für das Kind mit Behinderung aus öffentlichen Mitteln geleistet wurden, von der Familie zurückzuverlangen.
Allein dieser behindertenpolitisch definierte, materielle gesellschaftliche Kontext, dürfte für die Annahme einer radikalen Haltung bei Anwendung aktueller PND förderlich sein! Im Sinne einer gesellschaftlichen Ethik der Nicht-Exklusion ist vor allem für diesen Punkt dringender Handlungsbedarf angesagt!
Der Kommentar von Herrn Germain Weber und der gesamte Artikel der Ärztewoche vom 20.6.: http://www.springermedizin.at/gesundheitspolitik/?full=53604