Die Sachwalterschaft muss radikal verändert und eigentlich aufgehoben werden in ein neugestaltetes Format der Unterstützten Entscheidungsfindung. Das zeigt ein neuer Kommentar des UN-Komitees für die Rechte der Menschen mit Beeinträchtigungen sehr deutlich auf. Das geht nicht von heute auf morgen, sollte aber zügig unter Einbeziehung aller Interessengruppen vorangetrieben werden. Das Justizministerium agiert dabei engagiert, jetzt ist aber die Politik am Zug und sollte trotz Regierungsbildung nicht zu lange warten.
Die bisherigen Staatenprüfungen zeigen, dass Artikel 12 der Behindertenrechtskonvention nicht richtig verstanden wird. Dies hat den UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen veranlasst in einem allgemeinen Kommentar zu Artikel 12 Behindertenrechtskonvention dessen Bedeutung und Konsequenzen klarzustellen. Der Kommentar ist noch ein Entwurf, bietet aber hochinteressante Anregungen.
Warum wurde der Kommentar geschrieben?
Einerseits, weil diese Debatten einer grundsätzlichen Klärung bedürfen. Zweitens, weil gerade Artikel 12 (Rechts- und Handlungsfähigkeit) von Anfang an umstritten war, da er einen radikalen Bruch mit den Rechtssystematiken der Staaten bringt. Drittens können sich viele nicht vorstellen, wie unterstützte Entscheidungsfindung für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf bei der Kommunikation gelten soll.
Und schließlich stehen sich zwei Konzepte gegenüber: Das eine geht von einer Reform hin zu einer Sachwalterschaft light parallel zur Unterstützten Entscheidungsfindung aus. Das andere sieht die Sachwalterschaft grundsätzlich nicht mit der Behindertenrechtskonvention vereinbar und verlangt so rasch als möglich eine neue Form, nämlich die Unterstützte Entscheidungsfindung.
Einige Impulse aus dem Kommentar
Klargestellt wird: Artikel 12 Behindertenrechtskonvention ermächtigt nicht zum Entzug oder Einschränkung der Rechts- und Handlungsfähigkeit aufgrund tatsächlicher oder vermuteter intellektueller oder psychosozialer Beeinträchtigung. Vielmehr verpflichtet Artikel 12 dazu, entsprechende Unterstützungen zur Ausübung der Rechts- und Handlungsfähigkeit zu garantieren.
Die Unterstützung bei der Ausübung der Rechts- und Handlungsfähigkeit muss die Rechte, den Willen und Vorlieben der Person berücksichtigen und darf niemals dazu führen, dass an Stelle der Person entschieden wird, das heißt sie darf nicht auf eine Vertretung hinauslaufen.
Unterstützung ist weit zu verstehen und umfasst formelle und informelle Unterstützungsformen von unterschiedlicher Intensität um alle möglichen Situationen abdecken zu können, zum Beispiel Unterstützung durch eine oder mehrere Personen, denen man vertraut, Unterstützung durch Peers, unterstützte Kommunikation. Dazu gehört auch universelles Design und Barrierefreiheit und die Verpflichtung des öffentlichen und privaten Sektor (Behörden, Banken, etc.) leicht verständliche Informationen zur Verfügung zu stellen.
Was heißt das für Österreich?
Folgende Grundregeln müssen bei der unterstützten Entscheidungsfindung beachten werden:
Die Person mit Unterstützungsbedarf muss im Mittelpunkt stehen. Es geht um Maximierung ihrer Selbstbestimmung. Der Bedarf an Unterstützung richtet sich ausschließlich nach ihren Bedürfnissen.
Alle Unterstützungsformen – insbesondere auch bei intensiver Unterstützung – müssen auf dem Willen und Vorlieben der Person mit Unterstützungsbedarf basieren. Es darf nicht sein, dass Dritte über sie entscheiden, was zu ihrem Besten ist.
Die Person mit Unterstützungsbedarf muss die für sie passende Unterstützungsform und die sie unterstützenden Personen frei wählen können.
Die Regeln für unterstützte Entscheidungsfindung müssen eine ein ganzes Bündel von unterschiedlichen und einander ergänzenden Unterstützungsformen darstellen. Der Wille und Vorlieben der Person mit Unterstützungsbedarf muss dabei im Vordergrund stehen und die Menschenrechte müssen beachtet werden. Wichtig wäre auch eine Möglichkeit, völlig ohne die Gerichte auszukommen.
Unterstützte Entscheidungsfindung muss für alle zugänglich sein. Auch Menschen mit sehr hohem Unterstützungsbedarf müssen Zugang haben.
Fazit
Die Sachwalterschaft sollte aufgehoben werden in ein neugestaltetes Format der Unterstützten Entscheidungsfindung. Das geht nicht von heute auf morgen, selbstverständlich. Aber zu viel Zeit sollte nicht mit Vor- oder Zwischenstufen oder Parallelsystemen vergeudet werden. Bund und Länder sollten sich nun rasch unter Führung des engagierten Justizministeriums auf grundlegende Richtungen der Neugestaltung und auf einige richtungsweisende Modellversuche einigen. Die Einbeziehung von behinderten Menschen,. Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Demenz bzw. ihrer Angehörigen ist selbstverständlich. Das Justizministerium zeigt dies auch äußerst engagiert vor. Jetzt ist die Politik am Zug und sollte nicht zu lange warten.
UN-Kommentar auf Englisch: DGCArticle12